Unternehmungen

Begegnungen und Grübeleien um die Sehscharte 2017 oder Alpenüberquerung 2017

 

Warum Grübeleien in einem Wanderbericht? Nun, das Hirn tut eh, was es will. Es gibt in Portugal einen unübertroffenen Meister, der seinem Gehirn simultan mit geschriebenen Worten folgt, António Lobo Antunes, aber seine Bücher sind für die Hirne anderer, z. B. der Leser – wie sag ich’s meinem Kinde – nicht leicht zugänglich. Weit von seinen Ambitionen entfernt, lasse ich jedoch gern manchen Grübeleien nicht nur beim Wandern, sondern auch beim nachträglichen Schreiben freien Lauf.

Mittlerweile hatte sich meine COPD (chronical obstructive pulmonary disease = chronische Lungenkrankheit) auf rund 60% des Normalvolumens einer Einatmung verschlechtert. (Zwar hat sie sich durch hartes Training und konsequente Medizinierung nach der Tour auf fast 80% verbessert, aber damals war es halt so schlimm.) Da schien mir ein neuer Gipfelversuch am Großvenediger und Südtiroler Ortler zu gewagt. Ich musste erst lernen, in den Bergen mit dieser Behinderung umzugehen. So eine Qual wie letztes Jahr auf die Neue Prager Hütte, das konnte es nicht sein. Und die vorjährigen Alpenüberquerungspläne (Alberschwende – Bozen) waren durch den Gehörsturz 2016 ja nur verschoben worden. Aus Termingründen von meinem neuen Wanderkumpel Frieder, von den AH des SC Mengen, konnten wir nur zwischen dem 12. und 23. Juni gehen. Das schien mir wegen des Schnees viel zu früh für den Gottesacker. Aber auf die Seescharte wollte ich unbedingt noch einmal. Reine Nostalgie. Diese Scharte bietet – wie der Name andeutet – Platzt für tatsächlich nur eine Person und ist ein schon in der Steinzeit benutzter Übergang vom Lech- zum Inntal.

Einmal in Zams bei Landeck, wollten wir uns auf den Bus setzen und das Inntal runter nach Brixlegg fahren, um uns von dort auf selbst gefundenen Pfaden dem Krimmler Tauernhaus bzw. der Richterhütte zu nähern. Danach sollte es über den Dreiländerweg und den historischen Krimmler Tauernübergang mit einem Abstecher zum Rauchkofel ins Arntal, weiter über einige Gipfel (Magerstein, Fernerköpfle, Geltalspitze… stehen zur Auswahl) über Antholz und zum Schluss auf Höhenpfaden entlang des Rosengartens nach Bozen/Meran gehen.

Ach, hätte ich doch auf den Nostalgieteil verzichtet. Aber in Brixlegg zu starten, wäre Pfusch gewesen: So umgeht man die Lechtaler Alpen und die gehören zu einer Alpenüberquerung in Österreich nun mal dazu.

Die Reise

2.1 Montag, den 12. 6.: Von Mengen nach Spielmannsau

Nachdem wir um 5.30 in Mengen und um 9.15 in Bad Wörishofen wegkommen, landen wir am späten Vormittag im glühend heißen Oberstdorf. Mittlerweile strömt der Schweiß bei 33-34°. Absprachegemäß frage ich mich zur Polizei durch. In der kühlen Schleuse spricht die Stimme des Wachhabenden mittels Mikrophon durch zwei schusssichere Glaswände: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Wir wollen hier 10 Tage par-

 

ken. Wo kann man das?“ „Alle unsere Parkplätze sind sicher: 1, 2, und 3. Da wird nichts geklaut oder vandalisiert.“ Danach hatte ich zwar nicht gefragt, aber er hatte die Frage so verstanden und im Folgenden ging es genau in diesem Stil weiter: In der – nicht gekühlten – Touristeninformation bekommen ich auf die Frage zum Langzeitparken von der Oberstdorfer zweiten stellvertretenden Vizeschönheitskönigin neben einem treuherzigen Augenaufschlag und dem leicht verärgerten Schmollmund eine herausgequetschte Bestätigung der polizeilichen Auskunft. Den Beginn der Alpenüberquerung am Ortsrand fand sie jedoch nur schwer auf der Straßenkarte von Oberstdorf.

Kein Wunder war sie frustriert, als undankbare Vierte im Wettbewerb der Schönen. Außerdem sollte jeder anständige Kerl solche Pracht nur bewundern und nicht mit Fragen belästigen.

Wir parken also auf der Nr. 3, welche der Touristeninformation gegenüberliegt und mir scheint der Preis doch sehr hoch und zudem unklar. Deshalb latsche ich erneut in jenen Tempel des lokalen Wissens und frage eine andere Auskunftsdame, was denn nun 10 Tage auf dem Parkplatz 3 kosten. „Da können Sie gar nicht so lange parken, sondern nur auf 1 und 2.“ Ok, also Auto etwa 300 m weiter weg auf P 2. Dort verkündet jedoch der Parkautomat – nur Münzeinwurf – eine Höchstparkdauer von 7 Tagen. Alles da capo auf zu P 1, nochmals rund 500 m immer schön durch den chaotischen, gemischten Ortsverkehr eines Kurortes im Oberallgäu:

PKWs, meist Diesel; Fußgänger; Hans/Hänsin-guck-aufs-Displays; Wanderer mit und ohne Rucksack, mit oder ohne Stock/Stöcke; Tanten mit Einkaufskörbchen; eilige und weniger eilige Boten (?); Radfahrer wie in Freiburg, ohne Sinn und Verstand also; Mütter mit Kinderwagen; Radfahrer mit Anhänger und an selbigen Wimpel an Glasfieberstangen; Mopeds; freilaufende Hunde und dito Kinder; Skateboards; den einen oder anderen Segway; Kinder auf von ihnen schlecht beherrschten Skaties (und wieder hopft mein Hirn in die Vergangenheit. Wir hatten Tretroller mit luftgefüllten Gummireifen und Fußbremse – zum Schluss sogar mit Antriebsratsche am Ende des Trittbretts. Ach was für ein primitiver Abklatsch sind diese heutigen Dinger: Lenker zu niedrig und zu schmal, Trittbrett auch viel zu schmal und Räder lächerlich klein. Aber zum Ausgleich hat die Schrottkonstruktion einen englischen Namen, HURRAAHH!); Lastwagen; Monstertraktoren mit vollen Anhängern (Hackschnitzel?); huch, ein Motorrad, Typ schwer; Tagträumer; die unvermeidbaren Rechthaber und dann alles da capo aber in beliebiger anderer Reihenfolge, das alles gewürzt mit Kreisverkehren, Kreuzungen, Einmündungen, Fußgängerüberwegen …

Aber auch auf P3 der gleiche Text am Parkautomaten. Wieder zurück zum hochgewölbten Herzgerüste der wunderschön bemalten Dirndeln in der Touristeninfo. Diesmal geht Frieder, weil ich im Augenblick über die Dienste gewisser Oberstdorfer Dienstleistungsetablissements – wie soll ich’s sagen – not amused bin. Nach längerer Zeit erscheint er wieder. „Man könne die Differenz zwischen sieben Tagen und der tatsächlichen Parkzeit per Handy bezahlen. So was hab‘ ich mir jedoch bewusst nicht angeschafft. Zuviel Betrug. Da haben sie mich zum Ordnungsamt – zum Glück im gleichen Haus eine Treppe hoch – geschickt. Dort war es dann kein Problem. Superfreundlich. 50 € auf Parkplatz 2.“

Dem Polizisten sei verziehen, dass er als Landesbeamter über die örtlichen Einzelhei-ten nicht im Detail informiert war. Ganz soo fremd sollte eine Frage, wie die unsere, allerdings auch für ihn nicht sein, immerhin ist Oberstdorf der Ausgangspunkt einer der bekanntesten Alpenüberquerungen auf dem E-5. Dieser Europäische Fernwanderweg führt von der Pointe du Raz bei Brest an der Bretagneküste quer durch Frankreich, Süddeutschland und Österreich nach Venedig an der Adria. Der Polizist hätte jedenfalls auf die tatsächliche Frage antworten können („Gehen Sie zum Ordnungsamt“ – und bei besonderer Bürgerfreundlichkeit – „im Touristenbüro eine Treppe hoch“), statt nur seinen Obsessionen – ersatzweise Berufsstolz (Diebstahl, Vandalismus – ersatzweise kein dito) – nachzugehen. In Puy-en-Velay riet 2006 der Garagenwächter Peter und mir aus eigener Initiative bei der Einfahrt, das Auto auf dem untersten Deck des Parkhauses unter dem Marktplatz abzustellen. Der Rat erwies sich als wichtig und gut: Weiter oben gab‘s jeden Abend „Party“.

Die Angestellten der offiziellen Oberstdorfer Touristeninformation hingegen müssten sich in Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten an die Grundregel halten, die tatsächliche Frage zu beantworten. Jeder, der in diesem Job auch nur ein bisschen ausgebildet oder erfahren ist, weiß, dass man zur Vermeidung gegenseitiger Missverständnisse als erstes die Frage wiederholt: „Sie wollen also hier in Oberstdorf 10 Tage parken?“ Nach dieser Kontrolle ist man als Auskunftsgebende(r) und -erheischender in 99% der Fälle vor Missverständnissen gefeit. Dazu sollte man aber in der eigenen Prioritätenliste den Job wenigstens gleichhoch wie die Pflege des äußeren Erscheinungsbildes platziert haben. Für die Auskunftsdamen gilt erst recht das oben über die E5-Alpenüberquerung gesagte. Doch sehe ich schon den Consult im Geiste vor mir, wie er den Damen in einer dieser idiotischen Großblock-Personal-Schulungen einbläut: „Sie sind das Gesicht Oberstdorfs!“ Von Hirn zu sprechen verbietet sich für solche Leute.

Unterwegs durch die Fußgängerzone erstehen wir für Frieder ein paar Steigeisen, weil ich die aus der Felsscharte zur Memminger Hütte heraushängende, steile, stark verschmutzte und daher gefährlich rutschige Restschneezunge in lebhafter und durchaus angstbesetzter Erinnerung habe.

Die schmutzige Altschneezunge (2008)

Die no-name Eisen ohne Antistollplatten (damit sich keine Schneeklumpen zwischen den Zähnen der Steigeisen verfestigten, weswegen man alle Nas‘ lang die Fußsohlen reinigen muss, statt sicher zu stehen) kosten 149, die Markeneisen mit Antistoll 49 €. Diese Wahl war leicht. Wir verpassen den offiziellen E-5-Anfang, sehen und hören aber ständig die Trettach zu unserer Linken, später zur Rechten. Irgendwann fängt es an zu tröpfeln. Das Übliche: Kaum hat man den Regenschutz über Rucksack und sich selbst gefrimelt – nasse Ausrüstung, der Alptraum jeden Wanderers – scheint die Sonne. Kaum ist der Regenschutz – üppiges Schwitzen für den Wanderer – wieder runtergefummelt, fängt es erneut an zu tröpfeln etc. pp.

Bald darauf wird für mich jeder Schritt zur Qual. War halt doch gut drei Wochen vor unserer Tour krank und längere Zeit wegen des Verdachts auf Lungenentzündung bettlägerig, daher sportunfähig und in einem merkbaren Trainingsrückstand. Außerdem machen mich solche Sachen wie die unnötige Rumhatscherei im Oberstdorfer Glutkessel im Kopf richtig fertig. Unnötig, weil die Leute den Job nicht machen, für den sie bezahlt werden: aha, deswegen ist der viel geforderte „Bürgerlohn“.

In Spielmannsau bemerkt der gute Wanderfreund Frieder meinen Zustand: „Lass es für heute genug sein.“ Wir landen in einem typisch schiachen Schuppen, der sicher schon bessere Tage und erfolgreichere Besitzer/Pächter als den derzeitigen Rus-en/Schweizer (?) – auf jeden Fall einen „Zigeuner“ bayrischen Sprachgebrauchs – ge-sehen hat. Immerhin goss er die hier anscheinend obligatorischen Balkongeranien reichlich.

 

Der schieche Holzpalast (2017)

Kaum hab‘ ich schiach gedacht, botanisiert das Hirn schon wieder neben dem Thema: Martina Schwarzmann, eine selten gehörte, aber höchst hörenswerte bayrische Comedian, singt in einem Lied von „schiachen (hässlich, kaputt) Haus“ mitten im Dorf. Al-le glauben, der darin wohne, sei verrückt, denn alle anderen, die zum Fenster rausschauten, sähen immer nur ein schiaches Haus. Sie aber meint, er sei vielleicht der einzige kluge Dorfbewohner, weil, egal wo er zum Fenster raussähe, er immer nur scheane Häuser sehe. Das ist so hinterfotzig, dass es von einem Wiener stammen könnte. Schon damals musste Martina für ein nicht-süddeutsche Publikum das Wort „schiach“ erklären, was ihr und Gleichgesinnten im Publikum großes Vergnügen bereitete.

Das Selbstbedienungsbier (2 €/0,7 Flasche) im Kühlschrank des aus der Distanz prächtigen, doch bei näherem Hinsehen recht vergammelten Holzschuppens ist von süffigster bayrischer Art. Schluck, schluck, hmmm. Frühstück gäbe es, aber Abendessen gibt es nur nebendran im Hotel und ich Idiot esse irgendwas mit Kraut. Der Übernachtungspreis ist – gemessen am Bettenniveau – nun sagen wir mal „gehoben“.

Das Gute-Nacht-Bierchen wird untermalt von einem Schaftheater gegenüber, bei dem ein Bauer mit Kraftfuttereimer und mehreren hilfreichen Sommergästen inklusive di-verser Kinder versucht, ein Mutterschaf mit Lamm über einen vollgestellten Parkplatz mit vielen Fluchtgassen zu den lauthals blökenden Genossen im Elektrozaun auf der anderen Straßenseite etwa 5 – 7 m zu treiben, statt – von weitem milde unterstützt – zu locken. Bist du ein ausgebildeter Border Collie, ist Treiben oder nicht natürlich keine Frage: Deine Beine und Hacken sind mindestens so flink wie die des Schafs und jenes hat zudem noch einen Heidenrespekt vor deinem Biss. Außerdem sorgt Herrchen durch den Befehl „Ablegen“ für die „milde Unterstützung von weitem“, was nebenbei bemerkt allzu große Schafpanik verhindert. Wenn das ohne Border Collie gebotene Locken nicht klappen will, packt ein Schafhalter sich das Lamm und trägt es laut blökend – zur Not kneifen – an den gewünschten Ort. Die Schnucke springt dann von selbst wie wild hinterher. Hier hingegen rückten alle Zweibeiner beiden Vierdito hautnah auf die Pelle. Wie zu erwarten endet die Schlacht mit einem grandiosen Schafsieg: Mutter und Lamm wieder im gewohnten Stall, Bauer und Helfer total geschafft!

2.2 Dienstag, den 13. 6.: von Spielmannsau zur Kempter Hütte

Zuerst muss ich wegen meines alternden Kurzzeitgedächtnisses 300 m zurück zur Pension hetzen: Wanderkarte liegen gelassen. Selbst schuld. Mitten in der ersten Aufstiegsschinderei trifft mich Montezumas Rache wie ein Blitz. Das Kraut von gestern Abend? Weder meine explosive Dringlichkeit, noch insbesondere die örtliche Geographie erlauben ein weiteres Entfernen vom Pfad. Bin gerade dabei die – zum Glück sauber gebliebenen – Hosen wieder hochzuziehen, als ein herannahender Bayer mich lauthals mit allen Kraftausdrücken seines Dialekts verflucht. Glaubt der etwa, ich mache das hier aus Spaß/Übermut/Sadismus? Habe zwar Verständnis dafür, dass er den Gestank abscheulich findet, doch ich habe schließlich nur „Der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe“ (Schiller). Schwamm … äh, Tempo drüber.

Im Laufe des weiteren Aufstiegs kristallisiert sich für mich folgende Routine heraus: Ich kann im Schnitt 30 Doppelschritte laufen, ehe ich meine Sauerstoffschuld durch Stehenbleiben und tiefes Atmen ausgleichen muss.

 

 

Auf dem Weg zur Kemptner Hütte (2017)

Das gilt besonders bei Steilheit, erzwungenen verschiedenen Schritthöhen und -richtungen, sowie zwei, drei Schritte auf den einen besonders hohen und großen noch drauf zu setzen, will man nicht stürzen – von den Trittmöglichkeiten an reinen oder extrem engen Steinpartien etc. abgesehen. Frieder,

 

Die treue Seele Frieder

der bergauf vorausgeht, kapiert meinen Rhythmus sehr schnell, zählt mit und bleibt von alleine stehen. Mensch, wann findet ein alter Knochen nochmal solche Wanderfreunde! Selbst als ich mal, der eigenen Verzweiflung nahe, ihn vorausschicke, damit er unbeschwert zu mir zurückkehre, kehrt die treue Seele nach ein paar Minuten wieder um, weil er mich unmöglich so alleine lassen könne.

Gerade als ich mich mal wieder über meine Stöcke beuge, um tief zu schnaufen, kommt uns eine Gruppe von oben entgegen, die sich besorgt über meinen Zustand zeigt. Deshalb erkläre ich kurz meine medizinischen Umstände plus, dass es mir von dieser regelmäßigen Sauerstoffschuld abgesehen, prächtig gehe. Die letzte Frau sagt: „Ich finde es großartig, dass Sie das trotzdem machen.“ Danke, das tat richtig gut. Spä-ter eine ähnliche Begegnung mit einem Wegwart von der Kempter Hütte, der Steine von der Bergseite des Wegchens ins Tal schaufelt. Ihm sieht man die Furcht vor möglichen Komplikationen mit so einem wie mir an. Er kann mit dem medizinischen Teil meiner Erklärung wenig anfangen, sondern fragt nur „abasonscht boasst’s?“ „Sonscht basst‘sscho.“ Damit ist alles Notwendige gesagt und wir ziehen beide beruhigt unserer Wege. Später an der Hütte schiebt er bei einem erneuten Zufallstreffen ein „Jeazat hoascht’z gschafft“ nach.

Das Tälchen, durch welches der Pfad sich hochzieht, bietet an der gegenüber liegen-den Felswand ein anschauliches Bild der Auffaltung von Gesteinsschichten beim Zusammenprall der Afrikanischen mit der Europäischen Platte vor 20 – 100 Millionen Jahren, wodurch die Alpen entstanden und – ohne Erosion – weiterwachsen würden.

 

Tiefes Schnaufen und Schichtenfalten der Bergwand (2017)

 

Schichtenfalten der Bergwand (2017)

 

Die damaligen schwabellabeligen Einzeller mutierten dann in den folgenden Jahrmillionen zu Uroberstdorfern. Tja, Afrika drückte halt schon lange vor den Zeiten irgendwelcher Prä-prä-homiden nach Europa!

Kurz vor der Kempter Hütte

Die Kemptner Hütte

fällt auf, dass einige Wanderer sich Reservekräfte für ein paar extra dynamische Ankunftsschritte aufgespart haben. Solche lassen sich i. d. R. den Rucksack von der Materialseilbahn hochschaffen und ruhen nach Ankunft schon am Nachmittag hörbar im Lager.

Der Empfang ist routiniert und entspannt. Der Wirt lässt bei allen, die ins Lager wollen, aus eignem Triebe einen Platz zur Nachbargruppe frei: „Da könnt Ihr Euch ein bisserl besser rühren.“ Leider missbrauchte unsere Nachbargruppe diesen Spielraum, zum Bau einer Kissen- und Deckenbarrikade. Grad wie auf dem Dauercampingplatz.

Grübel, grübel, grübel: Hätte der bis dahin an getrennte Lager glaubende Frieder nicht so tief geschlafen, wären auch ihm einige der nächtlichen Heteroaktivitäten im ge-mischten Hüttenlager nicht verborgen geblieben. Dürfen die das überhaupt noch, jetzt wo der Bundestag die alleinige große Homolihieebe beschlossen hat? Aber wir haben diese Resultate eines geschlechtsgemischten Lagers während der nächsten Tage nicht thematisiert. Huch, hab‘ ich unser Schweigen jetzt nicht fein verbalisiert?

Die Dusche liefert ca. 3,5 Minuten warmes Wasser für 3 €. Reine Zeitsteuerung: Nix da mit Aufsparen durch Hahn zudrehen. Der Trick ist, sich kalt nass zu machen, einzuseifen und dann den Kumpel vor dem Plastikvorhang um den Einwurf der Polette zu bitten. Auch läuft nach diesen warmen Minuten das kalte Wasser zum Glück weiter. Das war 2013 auf der Kürsinger Hütte anders. Dort herrschte generelle Duschendürre vor und nach der gekauften Frist.

Überhaupt macht der ganze Ablauf auf der Kempter Hütte und die Hüttencrew trotz E-5-Andrangs einen entspannten Eindruck. Sie halten auch an dem alten Brauch fest, dass der Gast auf einem Laufzettel seinen Verzehr selbst notiert, im Hintergrund sanft von den elektronischen Bestellsendern der Bedienungsdamen kontrolliert. Sehr gut. Die freundlich entspannte und doch routinierte Behandlung und das gute Wetter verleiten uns, auf der Terrasse zu essen.

Als wir der aufkommenden Nachtkühle wegen nach innen umgezogen sind, demon-striert ein Trio aus zwei Kerlen und einer Frau die irgendwann abbröckelnde Lebens-dauer selbst von HanWa-Schuhen: Der Frau hing eine Sohle vom Absatz her halb nach unten. Hans Wagner mit seinen Superschuhen ist der Bruder vom Lothar Wagner, dem mit den LoWas. Der zur unfreiwillig Halbbesohlten gehörende männliche Ganz-dito trägt ein paar HanWa-Kloben des Namens „Der Klassiker“ und ärgert sich, dass diese schweren Boots seit vielen Jahren absolut nicht kaputtgehen wollen. Der später gegen Abend diensttuende Hüttenwirt verwirft Kleben, erbietet sich stattdessen, die fehlerhafte Sohle provisorisch anzuschrauben, so dass sie bis Holzgau und einem dortigen Schuhkauf halte (hat der im dortigen Schuladen Provision?), ersatzweise ein Paar hoffentlich passende Leihschuhe ohne Gebühr zu überreichen, die sie – auch ohne Gebühr – sogar behalten könne. Wir haben zu fünft einen Heidenspaß bei dem Gefrotzel wo diese wohl herstammen könnten. Lustigste Lösung: Von irgendwelchen Leichenfüßen, welche im Frühjahr aus dem abtauenden Schnee auftauchen.

2.3 Mittwoch, den 14. 6.: von der Kempter Hütte nach Stockach im Lechtal

Am frühen Morgen zeigt sich der einzige Nachteil dieser Hütte: Der sog. Trockenraum mit seinen engstehenden und fest angeschraubten Eisenbügeln ist ein schlechter Scherz: alle Klamotten schön gleichmäßig klamm. Doch schon das Frühstück spiegelt die unverkrampfte Atmosphäre vom Vorabend wieder: Man kann sich ohne Extrakosten, bzw. -gelaber eine zweite Tasse Kaffee und zudem noch Obst holen und die obligatorische Marmelade gegen Honig tauschen.

Plötzlich ein lautes und gewollt munteres rhythmisches Händeklatschen vor der Hütte: „Wie fühlen wir uns heute? GUUUT! Auf geht’s“. Täter: Eine der kommerziellen E-5-Hordenführer_Innen*. Ihr Auftritt war das einzige Störmoment an diesem friedlichen Morgen. Zur kruden _*Schreibweise, im Berliner Universitäts(?)-Milleu erfunden, google man Lann Hornscheidt/Leitfaden der „AG Feministisch Sprachhandeln“. Man ist danach noch mehr verwirrt, wie vorher, aber zudem auf viel höherem Niveau!

Zuerst steigen wir unter bedecktem Himmel knapp 140 m rauf zur österreichischen Grenze.

Rauf nach Österreich (2017)

In diesem ersten Teil kann man Teile einiger „schwarzer“ Routen in Augen-schein nehmen. Die ursprünglich ausgesuchte Herrmann v. Barth Hütte war so ein Fall. Die Ungewissheit über den tatsächlichen Pfad- bzw. Geländezustand, sowie das eigene momentane und Frieders Leistungsvermögen ließen mich davon Abstand nehmen. Nächstes Mal. Zu schwarze Routinen, markiert mit dito Punkten auf den gelben Wegweiser oben in den Bergen findet sich folgender Text im Internet (Quelle: Almenrausch.at):

Schwarze Bergwege sind schwierige Bergwege, sie sind lückenlos markiert, schmal, ganz oder zum Teil sehr steil angelegt, oft ausgesetzt und können bei schlechtem Wetter gefährlich sein. Diese Bergwege können auch längere versicherte Kletterpassagen aufweisen (das sind Stellen, die nur mit Gebrauch der Hände überwunden werden können) und sollten daher nur von absolut trittsicheren, konditionsstarken, absolut schwindelfreien, alpin erfahrenen Bergsteigern mit einer den Anforderungen des Weges entsprechenden Bergausrüstung begangen werden.“

Bislang hab‘ ich das einmal am Funduspfeiler gemacht. Machbar. Man wird richtig neugierig, wie das woanders aussehen mag. Zumal es bei schwarzen Wegen keine Grade gibt, wie etwa bei der Pest der Klettersteige. In der Politik hingegen gibt es seit ein paar Jährchen schwarze Nullen, also auch weiße, rote, gelbe, grüne, orange oder gar weiße? Und was sagt der Mathelehrer dazu?

Mit zunehmender Tageszeit fängt der Planet an, immer ordentlicher zu stechen. Obwohl der folgende Abstieg hauptsächlich aus Rolling-Stones-Piste besteht, können wir nicht umhin, uns an der Blütenpracht

Blütenpracht (2008)

Blütenpracht (2017)

und den zahlreichen Schmetterlingsarten einfach von Herzen zu erfreuen. Wie gut, dass es noch funktionierende Rückzugsräume wenigstens für Teile einer weitgehend unberührten Flora und Fauna gibt. Einmal kommen wir durch ein gemischtes Fichten- und Lärchenwäldchen,

 

Zwerglärchen als erste „Bäume“ zwischen Wald und Alm

mit fleckigem Schatten, weichem, moos- und grasdurchsetzten Waldboden, zahlreichen Schmetterlingsarten und einem fächelnden Lüftchen. „Das hier ist zu schön, um einfach nur durch zu hatschen.“ Es folgt eine reine Genussrast.

Kurz vorm Hegauer Wasserfall raucht Frieder eine Zigarette. Nordicwalkt da eine extra starke, schon von weitem sichtbar verbissene Piefke-Leute-Anschnauzerin vorbei. Im Vorbeimarschieren, ohne das geringste Zeichen von Anhalten, entlädt sich ihre prall gefüllte Besserwisserblase: “Sie sollten wissen, wie lange das erhalten bleibt. So was wirft man nicht einfach in die Natur.“

A propos Piefke: Allgemeines österreichisches Schimpfwort für Deutsche. Die Herkunft des Ausdrucks ist unklar. Angeblich soll bei der preußischen Siegesparade in Wien nach dem Schlachten der k. u. k. Offiziersanwärter bei Königgrätz 1866 ein Kapellmei-ster diese Namens sich als besonders zackig (also höchst unösterreichisch) hervorgetan haben: Selbst zum Radetzkymarsch kann man gut klatschen, wie alle Zuhörer vom Neujahrskonzert aus Wien wissen, aber nur mittelmäßig marschieren.

Selbst bin ich zwar seit mehr als drei Jahrzenten Nichtraucher und hasse auch gehäuft herumfahrende Kippen, wie z. B. am Bahnhof Bad Krozingen, doch empfinde ich in Frieders Einzelfall ihre Schuld zuweisende, moralinsaure Zurechtweiserei schon fast als bösartig: Heute muss sich jeder so verhalten, wie ICH es will/für richtig halte! Denunziation statt Gespräch/Auseinandersetzung. Gute Frau: Auch dumme Worte können ungeahnte Wirkung entfalten, so wie der “… Flügelschlag des Schmetterlings auf dem Platz des Himmlischen Friedens in einen Sturm auf dem Nordatlantik“ resultieren kann. Das Zitatstammt aus Olle Hägström. 2006. Streifzüge durch die Wahrscheinlich-keitsrechnung.

Und schon gymnastizieren grauen Zellen wieder neben der Wanderung: Der Schmetterling mit nachfolgendem Sturm hängt mit der nichtlinearen Dynamik zusammen. Nicht erschrecken: Nicht linear bedeutet nur, dass die in die Formel eingehenden Größen nicht ausschließlich durch +/- verbunden sind. I. d. R. sind solche Sprüch jedoch bloß Schmarrn von sich naturwissenschaftlich tarnenden Berufsbesserwissern(innen) ohne jedes Wissen in nichtlinearer Dynamik. Die nicht lineare Dynamik, sowie die lineare dito, hat halt leider nichts, aber auch gar nichts mit Bio-Dynamik zu tun!

Frieder ist zufällig vom Zigarettenfilterfach: „Nach 90 bis längstens 130 Tagen ist selbst der Filter abgebaut“, bemerkt er nachher zu mir. „Derzeit arbeiten wir an einer neuen Entwicklung mit Titanoxyd, dann sind es im Schnitt nur noch 56 Tage.“ „Was meinst Du, wieviel Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Kreislaufschwächen, Al-lergien und Verschlackungen das Titanoxyd dann in den Lungenbläschen exklusiv der fanatischen Feinstaubfühler…, äh der Titan- und überhaupt Schwermetallüberempfindlichen auslösen wird? Von den Passiv-Titan-Verspürern ganz zu schweigen!“

Wie jeder Arzt, frage auch ich mich: Was sind Schlacken überhaupt? Wenn McDonalds Fraß so was wie „Schlacken“ hinterlässt, warum verzehren die Leut ihn dann? Steht da etwa einer vor so einem Kamelhöckerschuppen und hält den Leuten die Pistole an den Kopf, wenn sie nicht reingehen? Und wie jeder Arzt antworte ich: Schlacken sind genau solche Missgeburten kranker Hirne wie die entsprechenden, Gewinn verschaffenden Entschlackungskuren, -mittel, -fasten, -wanderungen … Hier muss es einfach mal gesagt werde: Viele Mitbürger sind phantasievolle Hypochonder, besonders was die Ver-, bzw. Entschlackung angeht. Das Beste an den „Schlacken“ ist noch die sie erzeugende blühende Phantasie, wenn sie nicht bloß ein Abklatsch von Fensähmedikamentenwerbung oder der Rentner-Bravo („Lesen, was gesund macht“) sind.

Die Feinstaubfühler…, äh Passiv-Titan-Verspürer hingegen sind eine bisher kaum beachtete und daher von der ignoranten Politik, der verblödeten Naturwissenschaft, der Giftlandwirtschaft, der Lügenpresse, der Leid-Kultur, der ahnungslosen Kirche, der böswilligen Chemiemedizin, dem gekauften Bürgermeister, den alten Parteien, auch zurzeit noch von den Grünen, der Wohlfahrt, ja sogar von den Globuligläubigen vergessene, -nachlässigte, missachtete, VORSÄTZLICH verletzte (wörtliche Formulierung eines/r Neckartor-Feinstaubfühlers/in) Gruppe.

Ach ja. Und wieder wird immer wieder der Satz fallen: Es gibt neuere Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass… Wenn Titanoxyd nach diesen Ergebnissen aus dem Tratschlabor und der Klatschklinik neben den oben genannten Gebresten nicht auch noch Krebs auslösend wirkt, dürft Ihr Euch glücklich schätzen. Ich befürchte jedoch, dass selbst AIDS und AUTISMUS in nicht mehr allzu ferner Zuku…

Der Klettersteig im Wasserfall ist nur gewollt und ein typisches Produkt der Erlebnis-Fun-„Kultur“. So was ärgert nun mich: Warum muss man in diesen Steinbrocken auch noch Löcher bohren, nagt doch das tobende Wasser schon genug an ihm. Aber ich würde gegenüber Klettersteigbenutzern mein Maul halten, sie nur beobachten. So wie ich früher Tiere beobachtet habe: jede Bewegung mit Eifer genau und moralisch sine ira et studio, oder: emotional und moralisch neutral.

In Holzgau im Lechtal wird unser altes Trio mit den Problemschuhen nach dem Erwerb von ein paar neuen dito (richtig verstanden: neue Problemschuhe, da diesmal kein HanWa-Modell, haha) nach intensiver Beratung unter Zuhilfenahme von Karten und Wanderungsbeschreibungen vom örtlichen Taxiunternehmer nach längerer Diskussion der Landstraße entlang geschickt. Uns rät der gleiche gute Mann später zuerst am Bach entlang und dann durch die Wiesen zu gehen: „Dann seid ihr wenigstens von der Straße weg.“

Auf einer öffentlichen Parkbank mit 20 cm Wiese vor einem Steinbrocken gegenüber dem Hotel, in welchem die morgens so lautstark aufgemunterte E-5-Horde ihr Mittagessen verspeist, verzehren wir unsere Vesper: In meinem Fall heute ein Apfel, eine halbe Brotscheibe ohne alles, ein-zwei Bissen französische pure porc und Wasser. Das reicht weit und lang, selbst beim Wandern. Lieber öfter einen kleinen Happen essen und/oder Wasser trinken.

Beim abschließenden Kaffee beobachten wir Folgendes: Ein jüngeres Mädchen mit Dreadlocks wurde wohl von der mitwandernden Mutter zu der Selbstkasteiung einer dieser organisierten und gehetzten E-5-Alpenüberquerungen überredet und jetzt hat sie absolut keinen Bock mehr, behauptet aber sicherheitshalber, sehr, sehr erschöpft und einfach von Grund auf matt zu sein. Glaub ich ihr sofort, besonders nach so einem opulenten Mittagessen. Die forsch-fröhliche Gruppenleiterin vom Morgen stößt hinzu: „Wenn du eine 53jährige Frau wärst, würde ich die Verantwortung nicht übernehmen (Verantwortung für was und wie sähe das dann im Zweifelsfalle aus? Aber genau bitte!), aber du bist doch jung und fit…“ Ein nicht sehr angenehm klingender Spruch für einen ungewollt zuhörenden 73jährigen. Hingegen übernehme ich die Verantwortung für mein Tun grundsätzlich selbst.

Später wird Folgendes klar: Hat ein Gruppenführer ein zahlendes Hordenmitglied erst einmal über die Seescharte gezerrt, gibt es bei Ausstieg aus der gebuchten Selbstschinderei keine oder nur eine extrem gekürzte Kostenrückerstattung. Was für ein Zynismus.

Eine Gartenbaufirma aus dem bayrischen Ostallgäulandkreis werkelt an der urösterreichischen Lechtaler Hotelterrasse. Der Lech entspringt in Österreich. Die Quelle des Inn hingegen liegt in der Schweiz. Der Oberkellner zu einem fragenden Gast: „Heute Morgen hoam’ses einigrissa, morgen Oabend soan’s fertig. Dia san voam oalden Schrot un koan.“

Vom Piefke nehmen die Tiroler nur – und gerne – die Bayern aus. Komisch, richtete sich doch der Aufstand unter Andreas Hofer für ein freies Tirol formal gegen Bayern, dem Tirol damals gerade von Napoleon nach seinem Sieg bei Austerlitz 1805 zugeschustert worden war!

Jener Andreas Hofer kann mit Fug und Recht als Habsburgischer Che Guevara bezeichnet werden, nicht nur wegen seines prächtigen Vollbarts und Schlapphuts, sondern auch wegen der weiten Verbreitung seines Konterfeis. Er wurde 1767 geboren und 1810 in Mantua von den Franzosen arkebusiert. Noch heute singt man ihm Lieder: „Zu Mantua in Banden der treue Hofer lag …“ Schon toll: 2010 hing überall sein Konterfei „zum Gedenkjahr“ – in ganz Tirol, inklusive dem italienischen (?) Süd-dito. Nicht so im Bundesland Salzburg. Tja, auch unser Nachbarland huldigt dem Föderalismus, Model engstirnig.

Später bemerken wir beide wieder die gleiche Lähmung wie in Spielmannsau und lan-den in einer privaten Pension in Stockach: Richtige Betten, gebührenfreie Dusche auf dem Zimmer ohne Zeitbegrenzung, Nachmittagsschlaf und Luxusfrühstück – für 30 €. Abendessen – für mich ein Nostalgie-Kaiserschmarrn – gibt es in einer auf seltsame Art schwäbischen (?) Biker Kneipe 200 m weiter. Für Frieder ist Kaiserschmarrn wegen der Rosinen ein no go.

2.4 Donnerstag, den 15. 6.: Von Stockach nach Madau

Da uns der Kurzrasttag so gutgetan hat, wiederholen wir das Ganze gleich nochmal und gehen nur bis nach Madau. Wir sind im Urlaub und nicht auf der Flucht. Halt zwei halbe, statt eines ganzen Ruhetages. Irgendwann innerhalb der letzten neun Jahre seit meinem ersten Besuch hat man für die gejagten Haufen voll E-5-Erlebnislatschenden eine extra Bushaltestelle mit künstlerischem bemühtem Disneybrunnen kurz vor der Abzweigung von der Straße vor Bach erfunden und ebenso etwa 100 m Extrapfad hinter den ehemaligen Misthaufen angelegt. Ansonsten ist alles wie bei der ersten Begehung

Die tiefe Schlucht der Madauer Ache (2017)

selbst die in die Schuppentür geschnitzten Treueschwüre sind noch lesbar, in denen die gleiche (?) Person 1911 und 1948 ewige Liebe schwor.


Ewige Treue 1911 (2008)


Ewige Treue 1948 (2008)

Aber es gibt auf der Madauer Straße keine Holzbrücken


Davor gab‘s mal eine Holzbrücke (2008)

mehr und der „Einsame Wirt“ (HA!) hat die Straße zum „Erlebnisweg“ hochgepeppt, d. h. es stehen alle Nas‘ lang am Weg schöne, einheitliche Schilder im österraychischen Dialekt mit einer Reklame für das Produkt der diese Schildchen zahlenden Brauerei, z. B. „Schiacha Herrgott, NN-Weißbier“ gegenüber einer „modernen“ Christusgestalt am dito Kreuz.

Selbst der Wirt


Der Wirt vom Gasthaus Hermine in Madau, dem „kleinsten Dorf Österreichs (2008)

ist äußerlich ganz der alte, erkennt mich aber nicht wieder, kann sich auch nicht mehr an die beiden Schweden von vor neun Jahren erinnern. Das wäre zu schön gewesen. Selbst den lustigen Text auf der Rückseite der Rechnung gibt es nicht mehr: Hat es Ihnen gefallen, besuchen Sie uns wieder. Wenn nicht, schicken Sie uns ihre Verwandten. Wir garantieren lauwarme Getränke, versalzene Speisen und erstklassige Preise.

Als ich ihn danach frage, huscht eine tiefe Enttäuschung über sein Gesicht. Obwohl ihn die Jahre offensichtlich mehr und mehr gestutzt haben, hat er den alten Schalk in den Augen und im Mundwerk noch nicht ganz verloren. So kommt er z. B. auf die Terrasse und tönt schon von Weitem „Köannde döas Zimma 18 net awäng freindlicha daheaschaun?“ Der Rest der Flappserei zwischen Stammgästen und Wirt wurde hier zensiert: Die Diskussion Geschlecht versus Gender soll wenigsten in diesem Bericht ruhen. Als ich mal noch eine Schorle bestelle, bleibt er mit provozierend am Finger geschwenktem Henkelglas stehen, reagiert auch nicht auf „BITTE“: Ich hatte vergessen „für 100“ zu sagen. Dieses Spielchen kann er mit mir oft spielen, denn in meinem Kopf sind Heute und Damals ständig durcheinander präsent. Frieder (Nr: 101) verdirbt ihm diesen Spaß. Das alles ist gut so, dagegen ist es schade, dass man ihn so gezähmt hat. Wann trifft man nochmal im quasi öffentlichen Raum solche Originale.

Zum besseren Verständnis, wie es in meinem Kopf zugeht, hier ein Auszug aus dem entsprechenden Bericht von 2008, als Peter und ich schon mal in Madau übernachte-ten:

Beim Abendessen ist der Wirt in Superlaune. Deutschen Gästen erklärt er frank und unge-fragt, dass die Österreicher beim Spiel gegen Deutschland zurückgepfiffen worden wären. „A Touristenloand koannsedös nedleistn. Aber besiegn hättnma se schokönna, dös hoammarn zeigt.“ Es gelingt ihm, auch noch Andreas Hofer mit dem argentinischen Cordoba (letzter Sieg einer österreichischen gegen eine deutsche Nationalelf 1978) zu verknubbeln und mir wird klar, dass sein glühender Patriotismus nicht nur Kasperltheater für die Fremden sein kann. Zum Glück hört er nicht, wie ein weiblicher Gast seine Begleitung fragt: „Cordoba, immer wieder Cordoba. Was meint er damit?“ Dann vergaloppiert er sich: Derselbe weibliche Gast fragt ihn nach dem Wetter morgen. Er erklärt ihr, dass

– „schmäh führn“ auf österreichisch „small talk“ heißt und

– dass er dieses, das Wetter betreffend, mit Gästen nicht mehr pflege.

„Sagt ihr Nachbar/der Wetterbericht, es wird schön, und sie gehen spazieren und kommen nass vom Regen heim, dann ist das für sie okay. Sag ich dagegen „es wird schön“ und es regnet, so klagen s nachher: „Aber der Wirt hat doch gesagt… „Auch zu den bergsteigerischen Möglichkeiten der Gäste gebe er keine Auskunft mehr. Einmal, am Anfang seiner Laufbahn als Wirt, habe ihn ein Gast gefragt, ob er – der Gast also – diese oder jene Tour wohl schaffe. „Dös woaß doiii neat. Woa sands dann schoa gongn?“ „Auf dem Spitzerlspitz war ich.“ „Donnerwetter, noa schoaffns dös aa.“ Abends habe sich der Gast beklagt, er – der Wirt also – habe ihn – den Gast also – (er zitiert die folgenden Worte auf Hochdeutsch) „…in den Tod geschickt“. Der Gast habe bei der Schilderung seiner alpinistischen Leistungen das kleine Beiwort „-hütte“ vergessen. „Net aufm Spitzerlspitz is er gwenn, sondern auf der Spitzerlspitzhüttn.“ Der Wirt hat ja vollkommen Recht, aber bei diesen Gästen ist sein Tonfall grenzwertig. Ich tippe aus ihrer Diktion und ihren Themen auf Akademiker im Psych-Soz-Päd-Bereich.

Dann bestellen die Gäste ihr Essen und besagte Frau fügt ihrer Bestellung „für mich ohne Speck“ hinzu. Jetzt gibt der Wirt richtig Gas: Einmal habe er eine Gruppe vegetarischer Wanderer beherbergt. Jeden Freitag gebe es bei ihm einen Grillabend – heitzudoge ao vegedarisch, aber doamols hoalt no neet – und die Gruppenführerin sei „…sechsmol zum Nachdschlag am Grill derscheena. Diehoats Fleisch für d‘ goanze Wochnnochgessn.“ „Wer sagt ihnen, dass ich Vegetarierin bin?“ Volltreffer. Jetzt aber schnell zurückgerudert: 30 Jahre, sechs Tage in der Woche immer die gleichen Fragen. Da müssten sie ihn verstehen. Auch sein Sohn sage immer „Vater, du bist zu frech.“

2017 sind wir beim ihm so früh, dass wir erstmals die Erfahrung der „Lagereinfahrtszeit nicht vor 14.00“ machen.


Das Gasthaus in Madau (2017)
Zum Glück hat er noch sein „Studentenlager im Keller“, in welchem Frieder und ich dann alleine nächtigen, denn alle Zimmer, also auch unsere damalige „Heidi und Goasnpeter Suite“, waren ausgebucht. Vor Jahren war dieses Lager von Geologiestudenten der Uni Insbruck belegt:

Später treffen die Geologiestudenten mit allerlei seltsamem Gerät am Gürtel, nassen Hosenbeinen, zerknitterten Notizen und in ziemlich geschafftem Zustand ein. Nur der Seminarleiter kann am Handy noch die ehernen Regeln akademischer Ausbildung mehrmals hersagen: Ohne Übung keinen Schein, ohne Schein keine Prüfungszulassung! Hört sich verdammt nach einem mir persönlich aus Unitagen bekannten „Persergespräch“ an. Mir schießen zwei andere lasterha… – äh, lästerliche Gedanken durch den Kopf. Als ich meinem Kollegen Francisco an der Universität Cordoba aus gegebenem Anlass mein Erstaunen darüber zum Ausdruck brachte, wie jung die Student(inn)en heute seien, flüsterte er mir zu:

„Im Vertrauen, sie werden jedes Jahr jünger, glaub mir’s.“

Und dann entsinne ich mich des Geologenhammers, der zusammen mit Rachel Welch in dem Film mit dem deutschen Titel „Die Verurteilten“ bei einem Gefängnisausbruch eine so entscheidende Rolle spielte – äh, nicht sie selbst, sondern ein lebensgroßes Poster der Naktrice, atürlich.

Heuer räumen wir in seinem Wirtsgarten die letzten Felsbrocken von unserem danach auch kein bisschen mehr schlechten Gewissen und beschließen den zweiten Teil ab Brixlegg – „unsere“ Tour – im September anzugehen – vorausgesetzt Frieder hat Zeit. Die Blumen sind dann zwar verblüht, aber wenn wir Glück mit dem Wetter haben, er-leben wir das spezielle Herbstlicht in den Bergen. Frieder ist dieser Entschluss sehr recht, denn er gewinnt dadurch vor Wiederbeginn der Arbeit ein paar ruhige freie Tage daheim.

Gegen Abend versammelt sich ein großer Tisch mit Bauern, darunter auch drei weiblichen im Gastraum. Bis auf eine Frau essen alle das gleiche Fleisch mit Pilz Soße (?) und Pommes auf dem Holzbrett (Rauer?). Es geht laut und lustig zu, wenn auch für unsere Ohren nicht immer voll verständlich. Einer erklärt ziemlich am Anfang der Sitzung, er habe ein „Nordwandgesicht“ und bekommt vom Wirt auf das bestellte Bier hin gleich 2 Gläser, Typ voll, hingestellt – ob wegen des Nordwandgesichts oder langjähriger Bekanntschaft kann mit unseren Bordmitteln nicht entschieden werden.

Später gibt es ein bisschen freundliches Geplänkel in bemühtem „Hochdeutsch“ zu uns rüber. Das gibt uns die Gelegenheit, den Eingeborenen den wesentlichen Unterschied zwischen Badenern, den Guten und denen da zu erklären. Ebenso, dass Baden unter amerikanischer Patronage zur Zwangsheirat mit eben denen da genötigt wurde, vergleichbar dem Verbot der Siegermächte – unterstützt vom Schweizer Unwillen – des Anschlusses von Vorarlberg an die Schweiz 1919.

Und überhaupt: Was sollen bezüglich Badens solche Feinheiten wie das Ergebnis der Volksabstimmung. Außerdem stimmte damals unser südliches Kernalamannien für Baden! Südbaden (62% ja) stimmte 1951 mehrheitlich für ein unabhängiges Baden, andere, inklusive der präsumtiven Hauptstadt Karlsruhe, meiner gefühlten Heimatstadt, nicht (Nordbaden 43). Nord- und Südwürttemberg jeweils 8%. Eine himmelschreiende Gemeinheit: Da lässt man über Badens Unabhängigkeit d’Schwobe abstimmä. Man sieht an den Zahlen deutlich wer welche Interessen hatte: D‘Schwobe wolldä d‘Alemanne schluggä. Am Wichtigsten jedoch gilt auch hier festzuhalten: Volkabstimmungen gelten nur, wenn einem das Ergebnis passt. Das sieht man am anhaltenden Geifer der gegen alles … äh, Stugart-21-Berufsdemonschdriera.

Schon 1809 beklagte sich der neu von Napoleon geschaffene württembergische König, dass das Nachbarländchen, das dito von Napoleon neugeschaffene Großherzogtum Baden zu groß sei. Aber der Badische Großherzog war der Schwiegervater vom Zaren, damals noch Busenfreund oder so was von Napoleons. Also mussten die Württemberger fast 150 Jahre auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten.

Zurück, Marsch, Marsch zum Thema Hirn! Neben vielem, leicht gehässigen Getratsche über neue Landwirte/Landbewohner hat die Bauernsitzung durchaus handfeste Gründe, es werden Unterschriften geleistet und sogar Geldbeträge ausgezahlt. Vom Nordwand-Gesicht erfahren wir später, dass hier der Almauftrieb 2017 besiegelt wurde und dass er für diesen Sommer der Almwirt der Jungtiere all dieser Bauern sei.

2.5 Freitag den 16. 6.: Von Madau zur Memminger Hütte

Um Viertel nach acht machen wir uns auf den Weg


Weg zur Memmniger Hütte (2008)
und das Wetter bietet an diesem Tag alles: Sonne und Regen, leichtes Getröpfel und heftige Schauer, teilweise mit weißer Einlage, meist kaltem und selten warmem, böigem Wind, einzeln oder alles bunt gemischt. Die 30-Doppelschrittroutine erweist sich immer mehr als erfolgreiche Me-thode, die COPD selbst im höheren Gebirge und unter widrigeren Umständen hantierbar zu halten. Außerdem stärken zwei halbe Ruhetage Gemüt und Muskeln.

Gott sei Dank gibt es wesentlich weniger Restschnee als 2008, auch sehen wir, dass die von uns damals durch die Rinne fortgesetzte Tour mit ihrem auch heuer im zweiten Teil sauberen und steigfreudigen Schnee zwar zum Ziel führte, aber den offiziellen Weg verpasste.


Schneerinne (2008)
Auch Gämsen


Gämsen (2008)

Gämsen (2017)
zeigen sich wieder und unter der Terrasse der Hütte soll ein Murmeltier haußen, wie wir später erfahren. Wir sehen es dann sogar herumrennen, doch tippe ich eher auf Selbstdomestikation durch Essensreste statt vorzüglicher Behausung – wie bei den meisten wilden Tieren nahe einem Menschenhaufen. Grübel, Grübel: Fressen Murmeltiere Brotreste? Zum Murmeltier fällt mir doch erstaunlich lange nur sein zoologischer Name Marmota marmot


Murmeltier (2011)

ein! Beginnendes Alzheimer? Oder Berufskrankheit? Oder Beides? Sell wir’s sei.

Ja, es gibt sie, die selbst-domestizierten Wildschweinrotten (Sus scrofa), Rotfuchs-Familien (Vulpes vulpes vulpes), Reh-Rudel (Capreolus capreolus) in der Großstadt, von den diversen Vogelscharen gar nicht zu reden. Es gibt daher auch den Beruf des Friedhofsjägers.

Nein, nein, der soll nicht leere Gräber füllen!

In Berlin füttern Einwohner gegen alle fachfrauisch-/-männischen Ratschläge auch noch die Wildschweine. Die Fütterer sahen in der Glotze gar nicht nach Rotem Stadtteil aus. Alles Bieder-brave-Eichhörnchen-Enten-Fütter-Tierfreunde: Wo jriecht man sonst sein aldet Brot anständich wech. Beim „linken Viertel“ könnte man sich diese Idiotie ja noch erklären, Typ: Mal sehn, ob wir nach der öffentlichen Ordnung nicht auch noch das Gartenbauamt lahmlegen können. Dabei ist Wildfüttern so strafbar wie Wildpinkeln. Huch.

Unterwegs stieren die meisten der zahlreichen „Wanderer“ auf ihr Smartphone und be-nehmen sich auch sonst wie Stoffel; bis auf ein junges Liebespärchen, das beim mehrmaligen Überholen/Überholt werden – letzteres, wenn sie mal wieder zitternd unter einem Cape im kalten Regen sich an- und aufeinander klammernd kauern – wenigstens ein Erkennungslächeln zeigt. Sind die übrigen dem nackten Kommerz der E-5-Schleuserbanden verfallen? In der Hütte steckt dann in jeder Steckdose ein Trafo mit dazugehörendem Flachklappwischhirn. Ach, auf welch dünnem Eis – selbst nur rein technisch gesehen – tanzt der homo patiens demens seinen von der Natur geborgten Totentanz.

Homo patiens demens ist eine Mischung aus Spiegel (homo demens) und Piet Klocke (Derselbe. Kühe grasen nicht, sie sprechen mit der Erde. München, 2015.): Homo patiens.

Obwohl ich mit meiner COPD zu kämpfen habe, empfinde ich die Etappe von der Kempter zur Memminger Hütte selbst für jüngere Leute als Grobheit (rund 130 rauf, dann 930 runter, was anstrengender als rauf ist und dann nach ein paar ebenen Kilometern wieder 1170 rauf), besonders weil auf diesen kommerziellen Alpenüberquerungen alle Etappen eher Gewaltmärschen gleichen. Da bleibt vor lauter Höhenmeterfresserei keine Zeit mehr z. B. für die Freude an der Vielfalt einer intakten Natur oder die Gelassenheit, um Stille zu hören oder mit dem Hirn, statt mit dem Smartphone zu filmen. Aber die „gebuchten Wanderer“ sollen ja nur ihren Obolus abliefern, der Rest ist für die sog. Wanderunternehmen Hekuba. Und Wanderer-Durchsatzsteigerung – im Zweifelsfalle mittels langer Strecken und vieler Höhenmeter – erhöht den Umsatz und damit den Gewinn, allerdings mit Sicherheit auch die Kosten für die im Grunde das Geschäft nur störende, bzw. – vorläufig noch – duldende Natur und die unbeteiligten, ebenfalls duldenden, unorganisierten Spontanwanderer. Irgendwann hat diese Art von Lemmingetourismus (Lemmus lemmus, der Berglemming) die Alpenpfade – dann aber für alle – unbrauchbar gemacht, wenn es nicht gar Gerölllawinen/Abrutsche geben wird. Nicht nur Mountainbiker beschleunigen die Erosion!

Hekuba. Schon wieder so ein Hirnhüpfer: Der Krieg um Troja tobt schon lange. Hector, der Sohn von Trojas König Priamos und dessen Gattin Hekuba hat sich entschlossen, den rasenden Achilles vor den Mauern im Zweikampf zu treffen. Alle wissen, was das bedeutet: Reiner Selbstmord. Aber es ist eine Sache der Ehre, der Stoff aus dem Literatur gemacht wird. Hectors Gattin Andromache grämt sich, seine Mutter grämt sich, Priamos grämt sich auch, darf es aber nicht zeigen. (Man beachte: Die böse Männerrolle. Jeder, der sich nicht öffentlich grämt, ist ein Mannsschwein!) Doch Hector ist gleichgültig gegenüber dem Leid seiner Mutter. Ihn interessiert nur Andromache. Ergebnis:

– Hector tot,

– noch mehr Literatur,

– Andromache von allen außer ein paar Astronomen (Andromedanebel) vergessen und Hekuba als Kurzformel für „gleichgültig, uninteressant“ heute noch im Wortschatz.

Auf der Memminger Hütte


Memminger Hütte (2017)

konfrontiert man uns am Empfang statt mit einem „Guten Tag“ zu allererst mit der Frage nach der Voranmeldung. Auf unsere Verneinung folgt stande pede eine peinliche Gardinenpredigt wegen dieses schwerwiegenden Versäumnisses. Warum bloß hier und nicht auch auf der Kempter Hütte, wo doch dort die gleichen Horden einfielen? Dort keine Silbe, hier eine Riesensuada (wortreiche Überredung, ausgewalzter Wortbrei). Und dann wird der Jammertadel/Tadeljammer wegen Nichtanmeldung auch noch automatenhaft wiederholt. Als Grund für die penetranten Ermahnungen wird angegeben: Dann gäbe es Überfüllung und alle wären nur schlechter Laune. Gute Frau, dazu braucht es keiner Überfüllung, dafür sorgen die Routinen der Memminger Hütte von ganz allein:

– Am besten und der Theke am nächsten Tisch mit Platz für mindestens sechs bis acht Wanderer räkeln sich zwei bis drei Schleuser sog. Wander-Firmen. Zum Ausgleich ihrer geringen Zahl stehen gleich zwei Reiterkarten mit Firmenlogo und Pipapo auf dem Tisch. Was für einen Grund gibt es für diese absonderliche Bevorzugung bitte, außer dass diese Herrschaften ungestört über ihre jeweiligen „großzügigen Mehrschweinchen“ lästern können? Und selbst dazu bräuchten sie nicht ganz vorne zu sitzen, im Gegenteil, ein Tischlein im Winkel wäre dieser Thematik zuträglicher.

GM („Gentile Membre“) war im ursprünglichen Club Méditerranée die Bezeichnung für Leute, die für das Privileg, sich viel zu schinden, viel Geld bezahlten. „Großzügige Meerschweinchen“ lautet die Asterix-Übersetzung von GM im Band „Die Odyssee“.

– Als nächstes sind alle Tische im Gastraum für Halbpensionsgäste reserviert. Als Einfach-nur-Lust-auf-die-und-Sehnsucht-nach-der-Bergwelt-Wanderer muss ich erst mit dem Glas in der Hand von Tisch zu Tisch irren (nix verschütten, nix verschütten!) und dann erneut an der Theke anstehen (nur ja jetzt nix verschütten), um nach einem Normalwandererplätzchen fürs Bierchen zu fragen, ehe der Stuhl vor der geschlossenen Plebs-Stube weggeräumt wird. Mit normaler Zugänglichkeit für alle Gasträume wäre der Zeitverbrauch für die Gardinenpredigt besser angelegt gewesen. Werde mich nach diesen Erfahrungen nirgendwo mehr anmelden. Grad zum Trotz!

– Dabei hat die Hütte ein eigenes, elektronisches Kartensystem, welches getrennte Gastzimmer auch unter rein organisatorischen Gesichtspunkten unnötig macht. Das zeigen u. a. die paar verspäteten, aber vorangemeldeten Halbpensionäre, welche irgendwo im Proletenzimmer Platz nehmen müssen und trotzdem beim Essen zielsicher zu ihrem Kunstprodukt namens Pudding genötigt werden. Aber der Wirt scheint sehr verliebt in seine Knöpfchendrückerei hinter dem Tresen zu sein. Jedenfalls ist er dann voll und ganz und mit sichtbarer Begeisterung bei der Sache.

– Auch gibt es getrennte Essens- und Frühstückszeiten für die diversen Gastkatego-rien, selbstverständlich unter Bevorzugung der Halbpensionäre. Und dabei ist genau genommen der einzige Unterschied zwischen Halbpension und einem normalen Essen abends nur ein undefinierbarer „gemischter“, von jeglichem Grün befreiter Salat oder eine dito Suppe und ein nahezu ungenießbarer Chemiepudding mit einer Plastikkirsche – und natürlich der Preis für die obligatorischen drei (?) Gänge.

Wahrscheinlich wird auf dieser Hütte jedoch ähnlich frenetisch am Personal gespart, wie bei Lidl. Morgens entfällt jeder Scheingrund für die auch dann nach Klassen eingeteilten Essenszeiten, denn das spartanische Frühstück ist für alle genau das gleiche.

– Apropos ungenießbares Essen. Bekanntlich arbeiten fast alle Hüttenwirte eifrig an der Abschaffung des Bergsteigeressens. Wenn ich, als einer der größten Pasta-Fans des deutschen Südens, mal von den Linsen mit Saitewürschtlä und Schbätzlä ausgerechnet die Spätzle stehen lasse, dann liegt das daran, dass die Ursprungsmasse der Memmingerhüttenspätzle in Anatolien als Alabaster verkauft wird.

Die nett bis attraktiv anzusehende Empfangsdame erweist sich als resistent selbst ge-genüber meinem Hundegesicht, das sonst Sympathie aus den Seelenwinkeln des Gegenüber herauskitzeln kann: Wir sollten uns noch glücklich schätzen, denn vom Chef selbst bekämen wir viel Schlimmeres zu hören. Mehr war selbst mit dem treuesten Welpenblick und dem breitesten Lachen nicht drin. Menschliche Züge zeigt sie erst viel später beim Antritt ihrer eigenen Zigarettenpause. Das tat selbst für einen Nichtraucher richtig gut zu sehen. Man bekam ja schon fast Angst um ihren Geisteszustand wegen der vorangegangenen Automatenhaftigkeit. Bezeichnend für die Klientel, die auf der Memminger Hütte offensichtlich als vorbildlich angesehen wird, ist, dass sie zu Beginn der elektronischen Rechnung wie selbstverständlich annimmt, dass unsere 10-kg-Affen auch den Materialaufzug benutzt haben. Haben sie aber nicht, sondern unsere Rücken gekrümmt, an unseren Schultern gezerrt – von den Tragegurtquetschungen am selbstgestrickten Rettungsring ganz zu schweigen.

Inhaltlich sind ihre Voranmeldungsermahnungen aus vielerlei Gründen unsinnig:

– Die paar freien Wanderer machen in unsren Zeiten an einer eventuellen Hüttenüberfüllung den Bock nicht fett, sondern die organisierten, aber ordnungsgemäß vorangemeldeten Horden von Halbpensionsverzehrern verstopfen die Infrastruktur einer hierfür nie gedachten oder geplanten Schutzhütte.

– Ruft man als einfacher Bergwanderer an und bekommt die Auskunft „Voll“ steht man blöd da und hat sich um ein Stückchen Freiheit und Naturverbundenheit bringen lassen.

– Steht man einfach am Tresen, dürfen sie einen auf einer Alpenvereinshütte – vorläufig noch – nicht abweisen. Solche spontanen Gäste sind anscheinend der Alptraum der derzeitigen, planverliebten Memminger Hüttencrew.

– Natürlich werde ich als erkennbar ältester Wanderer (Baujahr 1943) männlichen Geschlechts wegen skandalöser Nichtanmeldung mit einer Pritsche im zweiten Stock be-straft. Dies ist bei solcher Klientel und ihrem dank des Prostaguttforte-Onkels aus dem Fernsäh bekannten nächtlichen Müssenmüssen, reine Tier- … äh, Altmännerquälerei. Macht nichts: Gib‘s ihnen, den unangemeldeten Mannsschweinen!

– Am besten an dieser Massenpsychose ist noch, dass die diversen IT-Systeme der Wanderrottenschreibtischtäter und der Hütten nicht total kompatibel sind. Es gibt ordnungsgemäß gebuchte Halbpensionskälber (nur die allergrößten Kälber bezahlen ihre Folter selber), die im Hüttenregister nicht auftauchen, vermutlich sogar den umgekehr-ten Fall. Schööön. Dann hat allerdings, wie es sich in kommerziellen Idiotien gebührt, die Lösung dieses Verwaltungsproblems Vorrang vor dem Durst der Gäste. Gar nicht schön. Bezeichnend ist, dass diese Unglücklichen dann zum Bergsteigeressen überredet werden – ohne Preisanpassung, versteht sich! Nein, nein: Hier wird der ursprüngliche Gedanke des Gebirgswanderns und der Schutzhütten der Pervertierung durch den Mammon unterworfen, denn genau dessen Massen schaffen erst die Probleme auf den Hütten und Wegen.

Hier muss ich meinem Hirn den – nach 34 Jahren dort nahezu obligatorischen – Schwedenausflug nachsehen. Da oben in meinem zweiten Heimatland unter dem Nordlicht hat man solche Perversionen unterbunden: Als ähnliche Schleuserbanden das Allemannsretten (allgemeines Betretungsrecht) dahingehend verfälschten, dass sie hunderte von sog. Kanuwanderern auf die stillen Seen losließen, welche die Ufer und ihre Flora und Fauna zerstörten, die Wasservögel verjagten, hat man diesen rein formalju-ristisch nicht verbotenen Missbrauch unterbunden. Die Unternehmen wurden mit Ausgleichzahlungen belegt, wodurch das Raubbaugeschäft für ihre kurzatmige Kalkulation nicht einträglich genug wurde.

Speziell der momentane Hüttenwirt der Memminger Hütte hat dieses rein kommerzielle Problem mit obigem hütteneigenen Drei-Klassen-Gastrecht „gelöst“, besser wäre jedoch zu sagen, erst richtig zum Blühen gebracht. Das Empfangs-, Platzierungs- und Bedienungsverhalten der Hüttencrew schafft eine allgemeine Gereiztheit, die alle Gäste ergriffen zu haben scheint. Die gewohnten Abendroutinen gehen im gehetzten Towubahohu unter. Zum Schluss bin ich froh, den Rucksack halboffen irgendwo hingestopft und den Hüttenschlafsack halbwegs ausgebreitet zu haben. Da war sie, die schlechte Laune, ganz ohne Überfüllung wegen Massen von Unangemeldeten!

Das alles ist sicher ungewollt. Doch hat sich die derzeitige Crew der Memminger Hütte zuerst von ihrem Bestreben, alle Abläufe trotz Massenansturm optimal hinzukriegen und zum Schluss von ihrem eigenen Organisationswahn so gefangen nehmen lassen, dass andere Gesichtspunkte gar nicht mehr wahrgenommen werden … nein, schlim-mer: Von ihnen nicht mehr wahrgenommen werden können: Betriebsblindheit, erster Klasse mit Eichenlaub und Schwertern. Schade.

An Gästen gibt es

– die frisch verliebten Pärchen, welche mit und an sich selbst genug haben. Es ist auffallend, wie wohltuend offensichtlich die Alpenluft auf die ganz hundsnormale Liebe zwischen den Geschlechtern wirkt. Sind die Alpen vielleicht auch hierfür ein noch geschützter Rückzugsraum vor der verkrampften Berliner Genderitis?

– Weiterhin solche, welche sich ihre Filmchen, unterwegs mittels mitgeführter Drohnen, aufgenommen, mit entsprechender Musik vorspielen. Solche Drohnen konnten wir später im Abstieg von der Seescharte in Aktion zu bewundern. Nie was vom Recht aufs eigne Bild gehört? Von der Ruhe der Natur und den Gefühlen der Ureinwohner, der Tiere, reden wir schon gar nicht. Hirn: Was ist das? Wir haben eine Drohne!

– Die immer hektischer den Ladefortschritt ihrer Smartphones Überprüfenden sowie

– die in solchen Horden unvermeidliche Zicken (hier waren es 3), welche ihre selbstauferlegte Kontaktlosigkeit in aufgeregten, hysterischen, alle anderen überkreischenden Krampflachanfällen bis tief in die Nacht herausschreien und

– Gott sei Dank – ein paar jüngere Leute, welche sich mit anderen Gästen normal un-terhalten.

Niemand will bei der Stimmung sich noch lange dem Gekreische der Zicken aussetzen, also Lager. Meine Pritsche liegt direkt neben der feuersicheren Metalltür, deren Schließmechanismus extrem hart eingestellt ist. Auch hier zeigt sich mal wieder: Die Feuerwehr ist zum GRÖSPAZ (größter Spaßverderber aller Zeiten) verkommen. Auch bei denen herrscht offensichtlich zunehmende Betriebsblindheit:

– 98 % der Herein-und Herausgeher (oftmals wiederholte solche), lassen die Tür automatisch zuknallen (pang), wenn’s sein muss unmittelbar hintereinander, weil ihnen gleich hinter der zugefallenen Tür einfällt, dass sie doch draußen noch was zu besorgen hätten: pang-pang. Auch pang-pang-pang kam mehrfach vor.

– Einige überprüfen im Flurlicht in der halbgeöffneten Tür zum bereits dunklen Lager stehend noch ein allerletztes, alles entscheidenden Male ihren Beziehungsstatus für diese Nacht. Für mich bedeutet dies: warten, warten, warten, warten, warten… und als die Äuglein zufallen: PANG.

– Andere setzen das angestrengte Gekicher wie selbstverständlich besonders gern innerhalb (pang) der Tür fort.

Warum gibt es keine schriftliche Ermahnung an dieser Tür, da es beim Gros offensicht-lich an normaler Erziehung fehlt? Im Klo bei eventuellen Problemen für die Hüttencrew geht so was doch auch! Oder ist der Hauptzweck dieser speziellen Toilettenermahnung das Eigenlob für die biologische Abwasseranlage?

Dann herrscht im ca. 50-Personen-Lager (grob geschätzt, eher mehr) endlich mehr oder weniger nur noch Handywetterleuchten, als der dritte oder vierte (keine Chance, ihn zu stupfen) Nachbar sein Weltmeisterschnarchen anfängt. Keine Aussicht auf Abschwächung oder wenigstens Einförmigkeit: Man hört deutlich, ob er nach besonders melodiösen Zwischenröcheln in der Sahelzone (lange Pausen zwischen angestrengtem Sägenstaccato), im Schwarzwald (kurze, unregelmäßige Pausen und langes, gleichmäßiges Sägenadagio) oder in Finnland (mittellange Pausen, kurze, schnelle Sägenläufe) Bäume fällt. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus, entsinne mich des Matratzen-, Decken- und Kissenstapels im Trockenraum und begebe mich dorthin.

Gerade will ich mich zudecken, als der Hüttenwirt auf dem Weg zu „Privat“ den Raum durchquert. Was ich hier täte. Nachdem ich meine Situation erklärt habe (inklusive der Entschuldigung für meine im Rucksack vergessenen Ohrenstöpsel), ermahnt er mich, nur ja ruhig zu sein, denn er schlafe nebenan. Dann schließt er nicht nur bestimmt und laut jene private Tür, sondern selbige auch deutlich hörbar ab. Weder Party zu machen, noch ihn zu berauben stand auf meiner nächtlichen to-do-Liste. Kurz darauf kommt ein anderes Crewmitglied mit einem weiteren Schnarchflüchtling hereingeschlichen, zieht diesem wortlos eine Matratze vom Stapel und verlässt auf Zehenspitzen wieder den Trockenraum.

Summa summarum:

– Auf der Memminger Hütte habe ich – jedenfalls unter den derzeit herrschenden Um-ständen – zweimal auf einmal genächtigt: das erste und das letzte Mal (nach dem „alten Nazi“ Sepp Herberger – zitiert vom Deutschem Fernsehen). Das folgende Bild, eine Aussicht von der Memminger Hütte zur gegenüberliegenden Talseite sei hier zur Versöhnung des Lesers eingefügt. Es zeigt auch unsere Stimmung, kaum waren wir wieder auf den Beinen.


Blick von der Memminger Hütte(2008)

– Ihr Trockenraum machte seinem Namen Ehre. Dass er für mich zum Klauraum wur-de, kann und will man der Hüttencrew nicht anlasten.

– Wäre ich Mitglied im DAV (aus alter Liebe im ÖAV) würde ich wegen der hier zelebrierten Huldigung an/Kapitulation vor dem bloß kommerziellen Massentourismus austreten. Konsequenter als der derzeitige Memmingerhüttenzirkus wäre Folgendes:

* Der DAV und die kommerziellen „Wanderung“-Veranstalter bilden eine GmbH & Co. KG mit 49,9% DAV-Anteil, damit man immer alles Negative dem „Mehrheitspartner“ in die Schuhe schieben kann.

* Die Hütten an den kommerziell missbrauchten Wegen werden für nicht kommerziell gebuchte Wanderer erst gesperrt, dann abgerissen und durch Resorts französischer Stararchitekten ersetzt, die in Form und Funktion den fürs Federvieh geächteten Legehühnerbatterien ähneln.

* Dort errichtet man einen großen Bio-Hubschrauberlandeplatz. Selbstgehen wird wegen des erhöhten CO2-Ausstoßes schnell unökologisch, es gibt auch keine Rucksäcke mehr (noch mehr CO2 wegen angestrengtem Atmen), dagegen Höhensupermärkte für Bio-Wander-Bedarf und ein bio-beheiztes (Photovoltaik, bitte sehr, alles klimaneutral, rückstandsfrei und mit biodynamischer Abwasserbehandlung! Edelökologisch, so zu sagen) Gebirgsbadbecken mit Bio-Überlaufrand.

* Abends kann man dann in diesem Becken liegend, seinen Bio-Daiquiri schlürfend die verschwundene Fauna und Flora als Bio-Lichtbildshow an einer Felswand bewundern.

* Und Florian Bügeleisen kommt gerne mal atemlos hereingeschwebt.

* Hej, werden da Bio-Einnahmen generiert werden.

– Ich jedenfalls werde nie mehr Strecken auch nur von weitem ansehen, die von kommerziellen Schleuserbanden benutzt werden.

– Nur noch kleine, meinetwegen durch schwarze Routen geschützte Hütten.

Also nach Brixlegg – Bozen weinenden Auges: Ade Austria, auf zum Schweizer Alpenrheintal.

2.6 Samstag den 17. 6.: von der Memminger Hütte nach Zams

Selbiges Crewmitglied, das meinen Leidensgenossen auf einer Matratze neben mir platzierte, verteilt am Morgen die eine Tasse warmen Getränks und zwar ohne obiger Klasseneinteilung zu frönen. Mein gutgläubiger Wanderfreund Frieder wartete doch getreulich vor der Gastraumtür bis 6.30 auf seine Frühstückerlaubnis, ehe ich ihn reinzerrte. Heute Morgen bekommt ein jede(r) sein/ihr Frühstück, wann er/sie halt er-scheint. Es kriegen eh alle genau das Gleiche: Eine Tasse Kaffee oder heißes Teewasser (kein Nachschlag, man wagt schon gar nicht zu fragen), zwei Brotscheiben plus zwei Scheiben Käse, dito Wurst, je ein Hotelpäckchen Butter oder Margarine, Marmelade, Punkt. Gemessen daran ist der Frühstückpreis – nun sagen wir mal über-hängend – oder doch eher ausgesetzt? Was kostet ein Apfel im Großeinkauf? Die Tasse Kaffee vielleicht zwei – fünf Cent! OK, mit Hubschraubertransport vielleicht acht.

Die letzten rund 350 m rauf zur Sehscharte


Horden auf dem Weg zur Sehscharte(2017)

meistere ich mit meiner bewährten 30-Doppelschrittroutine trotz des extrem nachgiebigen, rutschigen Untergrundes, der durch die Tritte der dank E-5-Hype unzähligen menschlichen Lemminge eher noch lo-er geworden ist. Es wird richtig heiß, die Sonne brennt heute so erbarmungslos, dass drei Tage später die Hautfetzen von den Ohrmuscheln abfallen wie brüchiges Pergamentpapier. Doch was für eine Enttäuschung: Statt wie 2008 nur wir Zwei


Wirklich nur eine Scharte (2008)
rasten diesmal knapp 20 Leute an der Seescharte auf 2600 m. In dem Haufen wird viel über die Memminger Hütte gelästert. Ein uns unbekannter Wanderer bemerkt, dass man bei dem Hüttenwirt das Gefühl habe, gnädig zu einer Audienz zugelassen zu werden.

Bei den Horden und dem Gequatsche ist es auch nichts mehr mit dem Zauber der Natur, so wie 2008:

Waauu! Was für ein Blick.


Blick von der Sehscharte nach Süden (2008)

Wir jedoch würden den Blick in das mit seiner Schlusshand vor uns ausgebreitete Lochbachtal mit den Ötztaler Gipfeln am fernsten Horizont nie als Land Mordor wie im Herrn der Ringe beschreiben. Das tat der Sprecher im Fernsehfilm. Jedes Detail fesselt uns und das Ganze zusammen noch mal extra. Wir verspüren viel mehr Verlockung als Abschreckung. Respekt, Bewusstsein der Gefahr? Ja, sicher, das auch! Hier oben kann man ja auch ziemlich negative Erfahrungen sammeln. Aber das macht einen guten Teil der Attraktion aus. Klein sind wir, winzig, für begrenzte Zeit toleriert, vielleicht sogar eingeladen. Wir haben Eintritt bezahlt, auch wenn die Seescharte deswegen keinerlei Verpflichtung übernimmt. Also fühlen wir auch so etwas wie Dankbarkeit gegenüber dem strahlenden Wetter. Beides, das Wetter und unsre Gefühle sind jedoch den Bergen und dem Tal völlig schnuppe.

Eine Einsicht blitzt in mir auf: Dieses Stück hochalpine Landschaft zieht mich magisch an. Eine ganz eigene Welt, so nah bei uns und doch ganz für sich – mit eigenen Kategorien, eigenen Gesetzen, eigener Historie – Erfahrung könnte man auch sagen. Wir, ihre Jünger, wollen uns zu ihr verhalten. Mehr noch: Wir wollen mit und in ihr leben, gern in Harmonie, aber wenn ’s sein muss auch im Trotz.

Ehe wir uns an den Abstieg machen, schauen wir uns gründlich um, auch dort, woher wir kamen. Kaum zu glauben, man sieht Madau von hier oben. Warum hat uns keiner dort die Seescharte gezeigt? Noch können wir uns nicht losreißen, obwohl der Weg von hier nach Zams weiter ist als der von Madau hier hoch. Wenige Schritte unterhalb der Scharte kann man zu zweit nebeneinandersitzen. Wie wir so mit den Augen rund wandern, raucht es aus dem Latschengürtel weit unter uns. „Brennt’s da?“ Im Abstieg wird klar: Ein Brand war es nicht. Vermutlich strich eine Böe durch eine Latschengruppe und trug eine Wolke Pollen davon. Eine eindrucksvolle Demonstration dafür, dass der in Ötzis Darm gefundene Pollen tatsächlich von seinem Aufenthalt kurz vor dem Tod erzählen konnte.

Die anderen glauben vor meiner Richtigstellung, die Berge kurz hinter dem Inntal wären der Hauptkamm, den es zu überqueren gelte. Aber das sind die ganz weit da hinten im blauweißen Dunst am Horizont verschwindenden Gipfel. Auch nehmen sie es mir nicht ab, als ich ihnen auf Nachfrage erzähle, dass erst ein mörderischer Steilabstieg, dann ein in einem wunderschönen Rasen-Lärchenwäldchen endender, fast ebener Pfad


Pfad unterhalb der Sehscharte(2017)
und dann nur noch endloses eländes elände (schwedischer Ausdruck)


„Elendes elende“ nach Zams (2017)

entlang des Zamser Lochs


Zamser Lock(2008)
(Bild 32)

käme.

Natürlich war es so, nur dass der Kommerz auch auf diesem Teilstück die letzten Schamhüllen hat fallen lassen:

– Die allererste, früher hermetisch geschlossene, private Steinhütte,


Die Steinhütte direkt nach dem Abstieg von der Sehscharte – damals(2008)
in deren Schatten wir 2008 unsere vom Vorjahr von französischen Jakobsweg übriggebliebene Instant-soupe-pécheur aus dem Aubrac aufbrühten, schildert ihren Sinalco- und Pipapoverkauf mit „Letzte Rast“ und

– eine der Hütten im Paradies ist zu einer echten „Diele“ mit Partyzelt, Sonnenschirmen und Bierzelttischen und -bänken metamorphiert.  Die Besitzer beider Etablissements sahen wohl jeden Tag das leicht verdiente Geld in Scharen vorbeiziehen. Da muss man einfach…

Das Wort „Diele“ hat einen vergessenen Hintergrund: Als die ersten italienischen Gastarbeiter merkten, auf welch primitiver Entwicklungsstufe sich die deutsche Speiseeiskultur befand, reichten sie gern ihre selbst gemachtes Eis direkt aus dem Küchenfenster. Damit ihre besten Kunden, die Kinder, gut ihre Wünsche äußern, ihr Eis entgegennehmen und ihren Obolus entrichten konnten, legten die Italiener vor dem Fenster ein Gerüstbrett (eine Diele) auf zwei niedrige Stützen. So entstand die Bezeichnung „Eisdiele“.

Selbst trinke ich an der Diele eine Apfelschorle, auch weil alles hier heraufgetragen werden muss. Zwecks Mittagsschlaf rasteten wir eh im paradiesischen Lärchenwäld-chen. Zum besseren Verständnis meiner Schwärmerei hier ein Auszug aus dem entsprechenden Bericht von 2008, als Peter und ich schon einmal vom Lärchenwäldchen verzaubert wurden:

Augenblicklich war ich von der Schönheit dieser Landschaft tief berührt. Der erste Abwehrimpuls gegen die eigene Sentimentalität war der Versuch, irgendein Besitzbegehren in meinem Blick aufzuspüren. Da war nichts. Dafür war ich dankbar. Auch hätte man durchaus bemäkeln können, dass es Privathütten gab. Ich habe den Einwand dieses Makels ähnlich hartnäckig wie die Suche nach dem eigenen Besitzbegehren gegen mein spontanes Gefühl bemüht – jedoch genau so vergeblich! Abgesehen davon, dass die Hütten meist außerhalb unseres Blickfeldes lagen, so hätten sie trotzdem für mein Sehen nichts bedeutet. Beim zweiten Blick bemerkte ich, dass dieses Fleckchen Erde rein war. Man konnte – besser, ich wollte – beim besten Willen keine Spur menschlicher Tätigkeit darin entdecken. Die Wahrnehmung der Reinheit dieser Landschaft war bestimmend für mein bleibendes Gefühl. Dabei ließ der Pfad und die Erinnerung der Hütten diesen zweiten Blick als fragwürdig, als Produkt eigener Wünsche erscheinen. Dennoch: Der Rasen zwischen den vereinzelt stehenden alten Lärchen mit dem Bachgemurmel im Hintergrund enthielt ein Versprechen. Als geborener und trainierter Skeptiker versuchte mein Gehirn, sich mit dem Hinweis zur Wehr zu setzen, dass solche Versprechungen nie gehalten würden. Vergebens: Das Versprechen dieses Landschaftsfleckchens war ein Versprechen an sich, frei von jedem Wunsch und deswegen mit dem Zynismus der Erfahrung nicht zu widerlegen. Was blieb, war ein unerwarteter Augenblick erlebter Schönheit. Danke.

In Zams sind wir so total geschafft wie Peter und ich 2008, obwohl wir damals von Madau nach Zams gingen. Das Alter, das Alter! Hingegen werden Frieder und ich diesmal erst vom Pech verfolgt und danach mit Glück überschüttet:

– Der Mann an der ersten ausgeschilderten Pension erklärte, normalerweise hätten sie Zimmer, aber die Frau sei nicht daheim. Dies allen Megären ins Stammbuch, die nie genug über die testosterongeschwängerte Männerherrschaft jammern können, wie z. B. bei den Piefkes Manuela Schweswig-Holst.., äh, Mecklen-VoPo und die geleyte Allwettertaft-Multi-Super-Mami, die mit den Kindersitzen im Leopard II.

– Als wir uns bei der Suche nach der zweiten Pension fragend umsehen, öffnet sich die Tür der „aufmerksamen Nachbarin“. Sie – die Nachbarin, nicht die Tür, also – erklärt uns wort- und wiederholungsreich, dass diese – die Besitzer der anderen Pension, also – gerade selbst am Gardasee Urlaub machten, überprüft diese Aussage vor Ort mittels Telefon und findet uns ein anderes Privatquartier mit einem weiteren Anruf – auch dies sehr wort- und wiederholungsreich.

– Damit nicht genug: Sie fährt uns unter muntren Reden mit ihrem privaten PKW dorthin und das ist dann zu allem noch eine richtige Superpension: Qualität des Service wie in Stockach, noch zusätzlich geliehene Schlappen, dass wir nicht unsere schweren Wanderboots ins Restaurant schleppen müssen, mit noch besserem Frühstück (Orangensaft nach Belieben und gerne ein Ei) und alles für 28€! Transporteurin und Wirtin sind beide im gleichen Wortreichclub. Gott segne Euch, ihr Dorfschellen … äh, aufmerksame, wortreiche Nachbarinnen, jederzeit und überall.

Von dieser zweiten Wirtin erfahren wir, dass auch dieses Jahr zwei weibliche Wanderer von Madau aus gingen und dann todmüde von unterwegs irgendwo am Zamser-Loch bei Dunkelheit die Bergwacht riefen. Doch sollen sie morgens gegen zwei Uhr unten in Zams schon wieder munter und um ihr Aussehen besorgt gewesen sein.

Die Strecke Madau-Zams wurde von unserer Wirtin während der Erzählung mit „Wahnsinn“ charakterisiert. Kann ich bestätigen. „Machbar“ kommentierte der Madauwirt 2008 gar hintersinnig unser Vorhaben. Wir haben Madau-Zams damals ohne Bergwachtszuspruch, wenn auch nur mit Hängen und Würgen geschafft.

2.7 Sonntag, den 18. 6.: Von Zams nach Oberstdorf und von dort nach Mengen

Die Glücksträhne setzt sich am Sonntag fort. Nach eingenommenem Superfrühstück sowie vielerlei Dankes- und Segenswünschen sind es nur 10 gemütliche Minuten zu Fuß zum Bahnhof in Landeck. Dort waltet doch tatsächlich am Sonntagmorgen (sic!) nicht der bei den Piefkes obligatorische, unwillige bis tumbe Automat, sondern ein lebendiger Bahnbeamter am Schalter seines Amtes, verkauft nicht nur Fahrkarten und druckt die Verbindung nach Oberstdorf über Lindau und Immenstadt mit Ankunfts-/Abfahrtszeit und Bahnsteigen ungefragt aus, sondern ist auch noch zum Scherzen aufgelegt. Wahrlich, wahrlich, die Zeit der Wunder ist noch nicht vorbei. Oh wunderliches, wunderbares Austria!

Auf mein expressis verbis vorgebrachtes, freudiges Erstaunen über seine gar engels-gleiche Erscheinung, erklärt er mit Stolz und Wehmut zugleich „die letzte Bastion des Oberlandes“ zu sein. „Gott sei Dank noch Oberland und nicht Tirol-West.“ „Tirol-West? Das sagt bei uns kein Mensch.“ Also ist Tirol „noch nicht verloren“ (so wie Polen in der ersten Zeile seiner Nationalhymne), obwohl die Plakatwände überall Tirol-West schrei-en und die Wege in den Bergen statt mit roten, eventuell rotweißen Punkten/Streifen mit Nummern gekennzeichnet sind. Nach der Logik dieser Kopfgeburt aus einem Tourismusmanagerhirn, müsste es neben Tirol-West folglich auch Tirol-Ost und dazu dann noch das alteingesessene Osttirol geben. Merke: Tirol besteht aus Oberland (Westen bis Innsbruck), Unterland (Osten ab Innsbruck), Osttirol – und der verbindenden, großen Klammer, dem geklauten Südtirol, unabhängig davon, wie die Italiener es auch immer nennen mögen. Kündige deine Tourismusfuzzis, schicke die Organisations- und Optimierungs-Manager in die Sahara und gedeihe dann noch lange glücklich und in Frieden, du schönes Land Tirol.

Auf dem Bahnhof in Lindau stößt sich unsre Diesellock den Kopf am Prellbock. Aua. Dann muss sie sich auch demütigen … äh, abkoppeln lassen: einer der im Holzkopf der Stuttgart-21-Gegner trotz akutem Juchtenkäferbefall (Osmoderma eremita) so viel gepriesene Kopfbahnhöfe. Hätten wir das gewusst, hätten wir uns im ersten Wagen auf die Lauer gelegt. Hier gab es in der gedruckten Information des Bahnengels aus Landeck eine Lücke. So wird aus der Umsteigezeit von 5 Minuten bei vier Minuten Fahrzeitverlängerung ein gehetztes Rennen und ein Tadel des bayrischen Schaffners: „War die letzte Tür nicht gut genug?“ Ich hatte dort nur Fahrräder gesehen.

Fahrzeitverlängerung? Eine epochemachende Erfindung der DB zur Lösung des ärgerlichen Verspätungsproblems, hier ein Geschenk der ÖBB an DIEMENSCHEN.

In Oberstdorf mampfe ich auf dem Weg zum Parkplatz ein im Bahnhof erstandenes belegtes Brötchen. Ein Van hält an, obwohl da kein Zebrastreifen war. „Guten Appetit“ ruft der Fahrer in die Mittagshitze. Soll das jetzt grad so weitergehen? Nun, es gab die eine Umleitung und den einen zentralafrikanischen Fahrer, der die Brücke vor Neustadt hinunter mit atemberaubenden maximal 60 km/h bewältigte: Fahrunsicherheit
oder miese sixth-hand-Karre oder beides? Oder doch ein milder „Terroranschlag“ mittels vermeidbarer Verkehrsbehinderung? Jedenfalls sind wir um 19.30 glücklich und reich an neuen Bildern und Erfahrungen und ich mit einem zusätzlichen kräftigen Sonnenbrand wieder daheim.

3 Nachgedanken

Was die kommerziellen Wanderunternehmungen angeht, bin ich durchaus zwiespältig. Einerseits sollten auch meines Erachtens viele Leute in den Genuss der Hochgebirgs-welt und eines, mit Mühe selbst eroberten, nicht alltäglichen Naturerlebnisses kommen, aber müssen sie sich dazu ausgerechnet als Horden bewegen? Hier einige kurze Zitate aus dem Internet:

– In 6 Etappen ist die Alpenüberquerung zwischen Süddeutschland und Norditalien und somit die verkürzte Strecke des E5 zu bewältigen. Dieser Abschnitt ist für jeden Wanderer ein besonderer Reiz. Vor allem die abwechslungsreiche Landschaft und Vegetation machen den Wanderweg zu einem besonderen Erlebnis, geprägt mit bleibenden Eindrücken. Nach dem Start im Süden Deutschlands durchquert man Österreich und schlussendlich erreicht man in der letzten Etappe Südtirol in Italien. Nur der Gedanke in 3-Ländern innerhalb von 6 Tagen zu wandern lässt das Herz für viele Wanderfreunde bereits höher schlagen. (Warum? Man spricht deutsch und bezahlt in € auch in Süd-tirol. Und in den Ardennen kann man in weniger Tagen 4 Länder durchwandern, eigener Kommentar MMZ.)

– Oberstdorf – Meran „Der Klassiker“: Die abwechslungsreiche Tour. 865 € pro Person (rund 150 € am Tag, dafür dass man sich selbst tierisch plagt, außerdem kommen da die Rucksacktransporte mit den Materialliften der Hütten noch dazu. Dafür gibt es eine Kunstkirsche auf einem BASF-Zucker-Pudding, eigener Kommentar MMZ).

– Der europäische Wanderweg E5 ist einer der spektakulärsten aber auch längsten Fernwanderwege Europas. Die Wanderung ist eine Herausforderung für jeden Wanderer, jedoch die Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch mehr. 50-57 € (Mittlerweile hat die DB für eine saftige Preiserhöhung gesorgt, auch der Flixbus ist nur bis München günstig, eigener Kommentar MMZ). Jetzt Rücktransport nach der E5 Wanderung ab Meran hier online buchen! Zuverlässiger Service‎. Angenehme Rückfahrt (für nochmal mindesten 50 €, eigener Kommentar MMZ).

– Atemberaubende Ausblicke von Tausender-Gipfeln, urige Hütten und glasklare Seen – wer einmal die Alpen bei einer Wanderung überquert hat, wird dieses Erlebnis nie vergessen. Unsere geführten Alpenüberquerungen, z.B. von Oberstdorf nach Meran, finden unter Leitung erfahrener, zertifizierter Bergführer statt, die sich in den Alpenregionen von Deutschland, Schweiz, Österreich und Italien bestens auskennen (Tatsächlich gilt ein Bergführerexamen nach einer der besten und härtesten Ausbildungen weltweit, also z. B. auch in den Anden oder am Hindukusch, eigener Kommentar MMZ). Sie genießen die Wanderung durch eine einmalig schöne Landschaft, wir kümmern uns um alle organisatorischen Aufgaben.

– Der antizyklische Tourenstart und kleine Gruppen mit maximal sieben Mitwanderern macht diese Tour zum Geheimtipp für Genießer. Generationen von Bergfreunden ist der E5 von Oberstdorf nach Meran ein Begriff. Unzählige Nagelschuhe (deren Zeit war schon 1920 vorbei, hier wird also auch noch die Nostalgie in die Werbung eingespannt, eigener Kommentar MMz), Bergstiefel und Trekking-Boots haben den Weg auf Etappen kennen gelernt und Steine rund geschliffen. Vom nördlichen Alpenrand, den Allgäuer und Lechtaler Alpen, führt uns unser Weg weit hinauf in die Wildheit der Ötztaler Gletscherwelt über die Grenze des Similaunpasses (Dort, wo Ötzi gefunden wurde. Einmal dort, sollte man sich die Besteigung des Großen Similaun


Aufstieg auf den Großen Similaun (2009)

Aufstieg auf den Großen Similaun (2009)

Auf 3600 m (2009)

nicht entgehen lassen. Einfach, ohne alles Gedöns selbst zu besteigen, 3600 m. Gamaschen und Steigeisen sind nützlich, wenn auch nicht unbedingt nötig, eigener Kommentar MMZ) nach Italien ins malerische Schnalstal,


Eindrücke im Schnalstal (2008)

Eindrücke im Schnalstal (2008)

Eindrücke im Schnalstal (2008)

der Heimat von Reinhold Messner (aha, daher der Preis. Tja berühmte Namen kosten immer extra, eigener Kommentar MMZ). Unsere Tourenvariante vereint die Schönheit der Bergwelt mit der Gemütlichkeit in ausgesuchten Unterkünften und dem einem ganz besonderen Flair auf den Spuren des E5: 965 €.

Mir steht der Kommerz bei dieser „Wander“-Form einfach zu sehr im Vordergrund. Ich sehe Gefahren genau für das, was hier erlebbar gemacht werden soll. Diese liegen noch am wenigsten in der unnötigen Korruption der alten Hüttenkultur (gemeinsamer Gesang, Stamperl; siehe aber wenigstens Kempter gegen Memminger Hütte. Außerdem sage ich nur „Rabatte“. Auch die „letzte Rast“ und die „Diele“ gehören bedingt hier her) als vielmehr im Zustand der Natur selbst. Keineswegs werden „… die Steine rund geschliffen“ wie eine der Werbebroschüren verspricht. Das schafft beim Alpengestein nur ein Gletscher. Aber unzählige Spalten und Schrunden auf den steilen Pfaden sind vertieft, verschärft und bei Regen in reisende Erosionsgewässer verwandelt worden. Schon von selbst rutschige Hänge rutschen nach so viel Getrampel noch viel mehr. Von den dauergestressten wilden Tieren reden wir schon gar nicht mehr.

Die Preise von 700 – 1000 € für 6-7 Tage (ohne Rücktransport plus Rucksacktransport vor dem Steilanstieg zu den Hütten zu mir unbekannten Preisen) erscheinen mir doch als ziemlich saftig. Als Privatmann mache ich das Gleiche (Oberstdorf – Meran) in gemütlichen 8 – 10 Tagen für 500 – 600 €, wenn‘s spartanisch zugehen soll – d. h. auch ohne die quasi obligatorische Spende für die Bergrettung auf allen Hütten – für gute 400 (50 – 75 € am Tag) und da gibt’s keine Rabatte, wie für die Schleuserorganisatoren angenommen werden muss.

Für eine Einfach-so-Wanderung bedarf es auch keiner größeren „organisatorischen Arbeit“: Einfach loslaufen. So haben wir das in den Pyrenäen, im Schwarzwald, auf dem Französischen Jakobsweg und in den Alpen gemacht und je weniger wir vorgeplant und vorbestellt hatten, umso erlebnisreicher waren die Wanderungen, umso rei-cher sind wir an inneren Bildern und spontanen Begegnungen heimgekehrt.

Auch habe ich in den Bergen einen alten Handyknochen nur dabei, um „die daheim“ zu beruhigen. Unterwegs brauche ich selbst so was nicht. Aktuelle Wetterberichte hän-gen auf allen Hütten. Und: Wer einmal für eine Woche oder länger Medien- und Kontaktverzicht geübt hat, entdeckt voll Erstaunen nach der Rückkehr nichts, aber auch gar nichts versäumt zu haben, im Gegenteil … Notfall? Ha! Noch nicht mal auf den meisten Hütten hat man Handyempfang – und wer hat denn ein Satelliten-Telefon im Sack? Da muss man sich schon anders zu helfen wissen. Ansonsten ist man nicht in einer menschenleeren Wüste und es gibt Ibuprofen 800. Und – last but not least – muss jeder, der sich zu Fuß in die Alpen begibt akzeptieren, dass man dabei auch umkommen kann, z. B. durch einen plötzlichen Wetterumschwung plus Dummheit.

Hierzu ein Auszug aus dem Bericht über eine am Wetter gescheiterte Wanderung 2010:

…am Tag des Tourbeginns lagen auf der Badener Hütte, der ersten Zwischenstation dieser Tour 60 cm Neuschnee und eine rasche Wetterbesserung war nicht in Sicht. Eine Gruppe in den Tiroler Bergen war in dieser Nacht trotz Schneefalls weitermarschiert, bis sie mit den Armen im Neuschnee ruderten. Dann riefen sie gegen 02.00 die Bergwacht. Bis die genügend Tageslicht zur Bergung hatte, war eine Teilnehmerin erfroren.

Leider wahr: Es wird auf den Hütten richtig bös geklaut. Das will ich dem Schleußerbandentourismus an gewissen Brennpunkten nicht in die Schuhe schieben, doch macht er dieses Problem keineswegs kleiner. Auf der Neuen Prager Hütte 2016 war es die gute und neue Pelzl-Stirnlampe im Waschraum und heuer 2017 auf der Mem-minger Hütte die doch sehr, sehr teuren Allwetterhosen der schwedischen Marke „klettermusen“ (die Klettermaus) aus dem Trockenraum. Ein zweites Paar kann ich mir nicht mehr leisten. Dafür kann kein Wirt etwas, aber man sollte doch seitens der Alpenvereine die Anschaffung von Schließfächern erwägen, welche der Gast dann mieten kann. Beim Beklaut werden hört einfach jede Alpen- und Wanderromantik auf.

Lasse doch lieber die geharnischten Briefe, welche ich der Touristeninformation in Oberstdorf, dem DAV, und der Sektion Memmingen schicken wollte. Zum Schluss bleibt das persönliche Erlebnis und die persönliche Freude. Landschaft, Ausblicke, Flora und Fauna waren einfach zu schön, unsere Zusammenarbeit zu spontan harmonisch und der Ausklang zu versöhnlich. Wir Beiden haben auch gelernt, mit Gegens-ätzen umzugehen: Frieder ist ruhig und besonnen, ich schon mal eher aufbrausend. Frieder kann sich nicht vorstellen, vor Dunkelheit schlafen zu gehen, ich als geborener Frühaufsteher schon. Aber was soll’s, so was macht das Leben erst interessant. Die Fortsetzung im Herbst haben Frieder und ich uns fest vorgenommen. Ich jedenfalls freu‘ mich schon drauf. Und Österreich/die Österreicher ist/sind einfach gemütlich, freundlich, preiswert und locker, jedenfalls mehr als manch deutsches „Leitvolk“.